Die Ratzepüs

von Christine Köck Autorendaten Private Mail an den Autor - Leserbriefe

Hast du dich schon mal gefragt, woher die Träume kommen?
Es ist ein großes Geheimnis, komm' mal ein bisschen dichter, damit ich es dir zuflüstern kann.
Große Geheimnisse müssen immer geflüstert werden...
Die Träume kommen nämlich von den Ratzepüs.
Jawohl, von den Ratzepüs.
Die Ratzepüs leben im Inneren einer Kindermatratze.

Guck nicht so erstaunt, ich erklär's dir ja.
Du willst wissen, wie sie da reingekommen sind?
Gut... zieh dir am besten die Decke über den Kopf.

Sie klettern aus Bücher in deine Matratze.
Das funktioniert nicht immer, denn nicht alle Ratzepüs verstehen sich gut miteinander.
Süße kleine Prinzessinnen haben z.B. ganz oft Käsefüße, deshalb wollen Drachen oft nicht mit ihnen in einer Matratze wohnen, weil sie so eine empfindliche Nase haben.
Ratzepüs sind also ein bunter Haufen von Piraten, Drachen, Elfen, Rittern, Astronauten,...
Je nachdem, was du für Bücher gelesen hast!

Wenn man ganz leise ist und angestrengt an der Matratze lauscht, kann man die wundervollsten Geschichten erträumen.
Manchmal können sich zwei Ratzepüs nicht einigen, dann träumt man etwas durcheinander.
Eine Geschichte ist aus der Sicht eines Drachen eine ganz andere, wie aus der Sicht eines Ritters...
Hör' dir das mal an:
Der Drache würde erzählen:
Ich saß gerade gemütlich auf
meinem Sofa und trank ein Tässchen
Fencheltee, draußen stürmte es,
deshalb hab' ich auch nicht sofort
das Klopfen an der Tür gehört...

Und der Ritter unterbricht ihn, denn Ritter wollen immer spannende Geschichten erzähle:
Ich stieg todesmutig über Knochenreste
und ging immer tiefer in die
Höhle...

Drache:
Du hättest ja Bescheid sagen
können, dass du vorbei kommst,
dann hätt' ich doch aufgeräumt.
Aber ich wollte mir einen faulen Tag
auf dem Sofa, mit 'nem Tässchen Tee machen...

Plötzlich stand ich vor der Bestie,
ein feuerspeiender Drache,
furchterregend, doch mutig zog ich das
Schwert...

So ein Blödsinn!
Plötzlich stand mitten in
meinem Wohnzimmer so eine
alte Blechbüchse, ich hab' mich
vielleicht erschrocken,
den ganzen Tee hab' ich verkippt

Blechbüchse nennst du mich?
Du Schuppenmonster!!!
Du rostest ja schon!
Hast wohl Pipi in die Rüstung gemacht?
Eidechse!
Rostige Blechbüchse!

Du siehst, wenn die beiden zusammen eine Geschichte erzählen würden, würde man ein ganz schönes Durcheinander träumen...
Deshalb hat man auch manchmal schlechte Träume.
Dann musst du einfach daran denken, dass es noch ganz viele Wesen in deiner Matratze gibt, die dir helfen können. Das mutigste Wesen, das ich kennen gelernt habe ist...

...ist ein kleiner Käfer.
Ich weiß das klingt jetzt sehr unwahrscheinlich, aber es ist die reine Wahrheit.
Ein kleiner Käfer namens Fred.
Fred wohnte in der Matratze eines kleinen Mädchens.
Dort ging es ihm sehr gut.
Manchmal besuchte er ihre Träume, aber immer nur im Hintergrund.
Knabberte an einem Traumblatt, das an einem Traumbaum hing und ließ es sich gut gehen.

Und dann fingen die Alpträume an.
Jeder hat schon mal einen fiesen Traum gehabt von der Mathelehrerin zum Beispiel, die mitten in den Ferien anruft und sagt, man schreibe Morgen eine Arbeit, oder man träumt, dass es plötzlich keine Schokolade mehr
gibt...
Es gibt die gruseligsten Dinge von denen man träumen kann.
Am nächsten Morgen wacht man auf, hat einen pelzigen Geschmack im Mund und fühlt sich erst mal ganz fies und elend, bis man dann im Kühlschrank noch eine halbe Tafel Vollmilchnuss findet.
Dann ist die Welt wieder in Ordnung.
Doch Lea, so hieß das kleine Mädchen hatte einen ganz besonders schrecklichen Alptraum.
Fred saß gerade knabbernd auf seinem Blatt und dachte darüber nach ob Traumblätter anders schmecken, als Blätter von einem nichtgeträumten Baum, als seine Gedanken durch einen markerschütternden Schrei unterbrochen wurden.
So schnell ihn seine kleinen Käferbeine tragen konnten, krabbelte er zum Blattstiel und von dort auf den Baumstamm und Richtung Boden, denn von dort kam der Schrei.
Er krabbelte so schnell er konnte, doch als er sah, wo der Schrei herkam, wäre fast sein kleines Käferherz stehen geblieben.
Lea, seine Lea, war gefangen in einem riesigen Spinnennetz.
Hier hatte es doch noch nie ein Spinnennetz gegeben!
Und schon gar nicht so ein großes.
Lea versuchte sich herauszuwinden, doch je mehr sie sich bewegte, um so mehr verhedderte sie sich im Netz.

Neben Leas Bett stand ihre Mutter und beobachtete, wie sich ihre Tochter durch die Bettdecke wühlte.
Leas Arme steckten im Kissenbezug und sie zappelte wie ein Fisch im Netz.

Lea kämpfte mit aller Kraft.
Freds kleines Käferherz schlug wie wild und er zitterte so sehr, dass er fast vom Baum gefallen wäre.
Doch plötzlich lockerte sich das Netz und eine sanfte Stimme sagte": He, du kleiner Hering... du hast schlecht geträumt."
Lea wand sich ein letztes mal...Hering? ....Fische? ....dann schlug sie die Augen auf und der Spuk war vorbei.
Leas Mama saß am Bettenrand und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Du hast schlecht geträumt, kleiner Schatz.
Sie befreite Leas Arme aus dem Kopfkissenbezug. "...Spinnennetz... gefangen......." nuschelte Lea noch und schlief dann auch direkt wieder ein.
Leas Mutter blieb noch einen Moment sitzen und strich ihrer Tochter über den Kopf.
Überdenkopfstreicheln vertreibt nämlich schlechte Träume.
Fred wischte sich den Schweiß von der Käferstirn und krabbelte in die Matratze um zu schlafen, genau wie Lea, jetzt traumlos.

Du meinst, dass das doch gar nicht mutig von Fred
gewesen wäre... stimmt, bis jetzt hat er sich nicht gerade heldenhaft verhalten, aber die Geschichte ist ja
Auch noch nicht zu Ende.

Das allerallergemeinste an Alpträumen ist nämlich, dass sie manchmal wiederkommen.
Und in der nächsten Nacht... genau, du ahnst es schon...
Fred saß auf seinem Blatt mümmelte ein bisschen und fragte sich, ob es nicht vielleicht auch Blätter mit Kümmelgeschmack gibt, als plötzlich...du weißt Bescheid...ein markerschütternder Schrei ertönte.
Fred krabbelte wieder so schnell ihn seine kleine Käferbeine tragen konnten den Stamm runter, und kam gerade an einem Astloch vorbei, als die Blätter den Blick freigaben und er Lea sah.
Das Netz schien noch größer geworden zu sein und die kleine Lea hatte sich völlig verheddert.
Sie drehte und wand sich, doch das klebrige Netz hielt sie fest.
Ängstlich versteckte sich Fred im Astloch und lugte vorsichtig heraus.
Plötzlich näherte sich von hinten etwas und eine Stimme sagte: "Was zappelt denn da fürrr ein Fischlein in meinem Netz?"
Und gerade als Fred aufatmen wollte, erkannte er dass das gar nicht Leas Mama war, die sich da von hinten anschlich, sondern eine riesige, ekelhaftige SPINNE.
Vor Schreck plumpste Fred ins Astloch rein und Leas Hilfeschreie schallten durchs Holz gedämpft zu ihm herunter.
Fred versteckte sich am ganzen Käferleib zitternd in der hintersten Ecke.
"Mhhhhh...siehst du aberrrrr leckerrrr aus. Du wirrrrst mein Festtagsbrrraten.
Selbst die Stimme der Spinne klang haarig und fies.
Fred hatte die Käferflügel um seinen Körper geschlungen und die Augen ganz fest zugedrückt.
"Pfui Spinne! Hilfeeeeeee!!"
Lea brüllte so laut sie konnte.
Wo nur Leas Mama bliebt?
Die Spinne kam immer näher gekrabbelt.
"Ja, wehrrrr dich nurrr. Harr, harr, harrr!
Ein widerliches Spinnenlachen entrang sich ihrer Kehle.
"Du siehst aus wie ein schmackhafterrrrr kleinerrrrr Käferrrr!"
Und das war zuviel!
Fred sprang auf, quasi wie von der Tarantel gestochen, und marschierte aus dem Astloch.
Und falls du dich jetzt wunderst, dass ein Käfer marschieren kann, Fred wusste es selber bis zu diesem Zeitpunkt nicht.
Also, Fred marschierte aus dem Astloch und brüllte, so laut er als Käfer eben so brüllen kann:" hhhh....hhhh..." es kam einfach kein Ton raus.
Die Angst hatte seine Stimme gelähmt.
Die Spinne stand mit ihren haarigen Beinen vor Lea und beobachtete, wie Lea verzweifelt versuchte sich zu befreien.
Geifer lief ihr aus dem Maulwinkel und sie schmatzte.
Ein ekelhafter Anblick.
Fred dachte bei sich:" Fred Aster, du bist schon dein ganzes Leben ein Käferratzepü, sei doch bitte nicht so ein erbärmlicher Feigling. Du bist zwar klein und diese Spinne ist riesengroß und sieht gefährlich aus..."
Diese ganzen Gedanken, die sich Fred da so machte,
führten eigentlich nur dazu, dass er wieder anfing zu
zittern und zu schlottern.
Mittlerweile saß die Spinne direkt vor Lea in ihrem Netz
"So, genug Spaß, ich habe schließlich einen rrrriesigen Hungerrrrr, Käferrrrchen..."
"Finger weg, von meiner Lea!!!!!" Fred viel vor Schreck fast vom Ast.
Hatte er da so gebrüllt?
Sowohl Lea, als auch die fiese Spinne sahen erstaunt nach oben. "Werrr brrrüllt da so?
Fred krabbelte den Stamm runter, jetzt war sowieso alles zu spät.
"Ich" sagte Fred mit fester Stimme und sah dabei der Spinne fest in die Augen.
"Du?" die Spinne musterte Fred von oben bis unten, was sehr schnell ging, da Fred ja sehr klein war.
"Noch ein Käferrrrchen. Willst du mein Nachtisch werrrden?"
"Ich möchte dich zu einem Duell herausfordern, du alte lahme Spinne."
Lea blickte von der Spinne zu Fred und wieder zurück und noch mal zu Fred.
Fred versuchte ihr zuzuzwinkern und gleichzeitig der Spinne fest in die Augen zu schauen und auch noch mutig auszusehen, was eigentlich nur zur Folge hatte, dass er ein bisschen schielte.
"Alte, lahme Spinne nennst du mich?"
Die Spinne schnaubte wutentbrannt und funkelte Fred zornig an.
"Und ordentlich Speck um die Hüften, hmm? Du bist wohl auch nicht mehr die Jüngste?"
"So eine Unverrrrrschämtheit!! Dirrrrr werrrrrd' ich's zeigen, du Mistkäferrrrrrr!!!"
"Ja, klar. Komm' und friss mich. Ich schmecke bestimmt gut, bin schließlich ordentlich sportlich und fit. Nicht so wie du."
Das saß. Spinnen sind nämlich unglaublich eitel und eingebildet.
"So, jetzt rrreicht's das lass' ich mirrrr nicht sagen. Ich bin sehrrr sportlich, guck dirrr das mal an!
Die Spinne steckte sich vier ihrer acht Beine hinter den Kopf, jeder Yogalehrer wäre begeistert gewesen, aber Fred schaute sie unbeeindruckt an, zuckte die Achseln und meinte nur: "tja, ganz nett. Aber schau dir mal das an."
Fred sprang in die Luft drehte eine Pirouette und landete im Spagat.
Die Spinne sog beeindruckt die Luft ein.
"Hmmm..." grummelte sie "hmmm, dafürrr kann ich das!"
Und sie machte einen Kopfstand und wackelte mit ihren Beinen in der Luft.
Als sie wieder richtig herum stand, grinste sie triumphierend.
Lea sah Fred verzweifelt an. Was sollte das alles nur?
Fred gönnte sich keine Pause. "Ja, aber kannst du auch das?"
Und Fred steppte, wie er in seinem ganzen Käferleben noch nie gesteppt hat tappedi...tappeditap...tappeditappeditappeditap...
Die Spinne hatte schon Schweißperlen auf der Stirn, und auch Fred ging langsam die Puste aus, aber er gab alles.
Tappedi... tappeditappeditappeditap...
tappeditappeditappeditap...tappedi...tappediTAP!
"Das kann ich schon lange, Käferrrr!"
Und die Spinne fing an zu steppen.
Spinnen ja haben zwei Beine mehr als Käfer und deshalb ist Steppen eine sehr komplizierte Angelegenheit für sie
(ich wette du hast noch nie eine Spinne beim Steppen gesehen!).
Die Spinne saß also mitten in ihrem Netz und musste sich völlig auf ihre Beine konzentrieren.
Fred schob sich unauffällig näher zu Lea.
"Wow, du hast ja richtig Talent!"
Die Spinne steppte immer wilder.
Fred lockerte die Fäden mit denen Lea gefangen gehalten wurden.
Durch das Steppen fing das Netz an zu schwingen, doch die Spinne achtete nur auf ihre Füße. "Von wegen, alte lahme Spinne" murmelte sie und starrte angestrengt auf ihre Füße, die sich immer schneller und wilder bewegten.
Das ganze Netz wackelte mittlerweile schon sehr gefährlich.
Fieberhaft zog Fred an den Knoten ...endlich.
Lea zog ihre Arme heraus und streifte auch die Fäden an den Beinen ab.
"HEEEE!!!" Die Spinne hatte sie entdeckt.
Und schaute sie aus zornigblitzenden Augen an.
"Was habt denn ihrrr vorrr?"
Fred drehte sich zur Spinne um, doch Lea schlüpfte durch das Netz und zog Fred mit, so dass sie nach unten auf das weiche Gras fielen.
Die Spinne wollte hinterher, doch das Netz wackelte so sehr, dass sie sich in ihrem eigenem Netz verfing.
Fred und Lea liefen so schnell sie konnten weg.
Sie liefen und liefen, bloß fort von der schrecklichen Spinne.

Irgendwann konnten sie nicht mehr und setzten sich ganz außer Atem nebeneinander ins Gras.
Plötzlich fing Lea an zu kichern.
Und Fred musste einfach mitlachen.
"Ganz schön Speck auf den Hüften!" imitierte Lea Freds Tonfall.
Und beide mussten losprusten.
"Ja, aberrr ich kann das."
Und Fred zappelte mit den Beinen und schielte dabei mit den Augen.
Lea rollte vor Lachen durchs Gras und hielt sich den Bauch.
So ging es noch eine ganze Weile.
Lea machte drei Purzelbäume hintereinander, bis ihr ganz schwindelig wurde.
Fred legte sich ein Büschel Gras auf den Kopf, (als Spinnenperücke) und nuschelte "von wegen alte, lahme Spinne".
Irgendwann waren sie ganz kaputt und müde vom ganzen Lachen und kuschelten sich aneinander ins Gras.
Lea fielen schon fast die Augen zu und Fred legte wärmend einen Käferflügel über sie.
Aber bevor sie einschliefen murmelte Lea schon im Halbschlaf:" du bist der mutigste Käfer, den ich kenne..." und dann schlief sie ein.
Fred blieb noch eine Minute wach und lauschte auf das Schlagen seines Käferherzens und fühlte sich unendlich glücklich, dann schlief er auch ein.

Gute Nacht