Textatur:

Die Text-Kritik

diesmal von Jörg Chales-de-Beaulieu Autorendaten Autorendaten - Leserbrief
An dieser Stelle wird je Ausgabe ein Text besprochen, kritisiert, zerlegt, zerrissen, je nach Laune des Rezensenten und mutige Autoren die den einen oder anderen Schicksalsschlag aushalten, dürfen ihre Texte hierfür anmelden.

Eher beispielhaft, denn maliziös, eher einfühlsam, denn spitz bespricht heute Jörg Chales de Beaulieu einen kleinen Zapper-Text. Die Grösse einzusendender Texte sollte sich etwa an diesem Umfang orientieren, also eine kurze Kurzgeschichte umfassen.

Highway to hell

von Sgt.Zapper Autorendaten Autorendaten - Leserbrief

"Fahr zur Hölle!" hatte sie gesagt.
Was mich nicht mehr überraschen konnte, sie wiederholte sich damit nur. Was mich mehr überraschte, war, daß ich dabei in die Mündung eines schwerkalibrigen Revolvers blickte.
Und diese Mündung zitterte leicht.
Möglicherweise war es die Erregung - es soll ja Menschen geben, die das Töten anderer Menschen erregt - oder es war auch nur die Anstrengung mit der sie sich am Abzug abmühte.
"Äh...", sagte ich, krampfhaft bemüht jetzt nur was Richtiges zu sagen: "...äh", leider fiel mir so spontan nichts ein.

Es wird mir sicher niemand glauben, wenn ich jetzt sage, daß ich derweil versuchte herauszufinden, ob eine Patrone im Lauf lag. Aber die Mündung war schwärzer als schwarz, besonders dort, wo ich die Tiefe das Laufs kurz vor der Kammer vermutete.

"Da seh ich schwarz", dachte ich für mich, um mich mit einem kleinen Scherz aufzumuntern. Was mir aber nur unvollständig gelang.
Jedenfalls war das der schwärzeste Moment meines bisherigen Lebens, wobei ich zugeben muss, bisher kaum welche erlebt zu haben - wenn ich ganz ehrlich sein will, war es eher mein erster.
Graue Momente, ja klar, wer erlebt nicht mal graue Momente, selbst dunkelgraue kommen regelmässig, immer wenn die Glückspillen ausgehen, aber schwarze?

Ich gebe zu, daß dieser ganze innere Monolog, der in mir in diesen schweren Sekunden ablief, um's Verrecken nicht tiefsinniger war. Wenn schon das Leben seicht verläuft, was hat man dann wohl vom Tod zu erwarten?

Das klingt jetzt ziemlich abgeklärt, unsentimental, ja, nahezu gefühllos. Aber es war in der Tat so, daß ich in diesem Moment nichts fühlte. Das Gefühl war wie weggeblasen.
Es gab da nur so einen Ruck in Höhe meines Kopfes. So als klatsche mir wer einen Klammerbeutel in die Fresse.
Es klang, als brächen die Schneidezähne.
Und dann gab es auch schon nichts mehr zu fühlen.

Wirklich erstaunlich.
Ich hatte mir den Tod vorher spektakulärer vorgestellt. Immerhin ist es ja etwas, was man nur einmal erlebt. Um ehrlich zu sein, war ich etwas enttäuscht.

Auch, als ich feststellte, daß sie, dem Schatten eines Racheengels nicht unähnlich, über mich hinwegstieg, wie man es aus schlechten Hollywoodfilmen kennt. Das sah irgendwie ziemlich billig aus.

Und dann befand ich mich schon auf der langen Strasse.
Ich hätte erwartet, sie wäre vierspurig, mindestens, und schwer befahren.
Auch hierin sollte ich mich irren.

Es war ein staubiger, ausgefahrener Karrenweg. Kein Karren weit und breit, nur tiefe Furchen und alte, vertrocknete Pferdeäpfel.
Eine graue Sonne stand hoch an einem grauen Firmament und schickte ihre grauen, trockenen Strahlen runter zu mir und ich bekam das Gefühl als sammelten sich graue, trockene Schweisstropfen zwischen meinen Schulterblättern, um schliesslich am Rückgrat runterzurieseln.

Ich begann zu überlegen, welchen Weg ich wohl nehmen sollte. Es soll ja die grossen, breiten und die gewundenen, steinigen Wege geben. Aber dieser hier war eindeutig keiner von beiden. Er war praktisch grade, schmal, staubig und voller grauer Pferdeäpfel.

Während ich noch zögerte, hörte ich das Geräusch eines sich nähernden Karrens.
"Heh, Gevatter", rief ich, als es kaum ein dutzend Schritte entfernt war, wobei ich mir den grauen Schweiss von der Stirn wischte: "Heh, wohin des Wegs?"
"Zur Hölle", brummte der Kerl auf dem Bock und zügelte die beiden grauen Pferde.
"Kannst Du mich ein Stückchen mitnehmen?" fragte ich.
"Warum nicht", sagte er: "Wartest Du schon lange?"
"Nein", erwiderte ich: "Ich bin grade erst angekommen!"
Er rutschte ein wenig zur Seite und bedeutete mir neben sich Platz zu nehmen.
Dann liess er die Zügel locker, schnalzte mit der Zunge und der Wagen setzte sich knarrend wieder in Bewegung.

"Warm heute", versuchte ich eine Konversation.
Der Kutscher, ein alter, vertrockneter, grauer Kerl, spie geräuschvoll einen grauen Klumpen in den grauen Graben des Karrenwegs: "Jo!"
So rumpelten wir schweigend nebeneinander auf einen irgendwie gleissend grau flirrenden Horizont zu.
Und darüber wurde es schliesslich Abend.
Eine dunkelgraue Dämmerung brach herein, aber der Kutscher machte keine Anzeichen anzuhalten und so knarzten wir auf dem Pferdekarren in die hereinrechende, tiefgraue Nacht.

Als ich schliesslich kein Grau mehr vom andern unterscheiden konnte, kam es mir vor, als lichtete sich das tiefgraue Grau zum Dunkelgrau, wurde stellenweise gar zum Grau.
"Scheint hell zu werden, was?" sagte ich.
"Jo!" rief der Kutscher. Doch ich hatte mich verhört:
"Ho!" rief er und der knarrende Karren blieb sang- und klanglos stehen.
"Da drüben, zwischen den beiden grauen Pappeln, das dunkle Grau..."
"Ja...?"
"Dort musst Du hin!"

Irgendwie musste ich bereits abgestiegen sein, denn als ich noch sowas wie "Danke!" murmeln wollte, hatte sich der Karren auch schon wieder in Bewegung gesetzt und die grauen Räder mahlten schlingernd in den grauen, tiefen Karrenspuren und zurück blieb nur ein frisches Häufchen grauer Pferdekot.

"Teufel auch!" entfuhr es mir: "Nun kann ich den letzten Rest noch zu Fuss gehen!"
Und so begann ich einen Fuss vor den anderen zu setzen, setzte eine graugewordene Stiefelspitze vor die andere, immer auf die beiden grauen Pappeln zu.

Wenn ich nun gar nicht willkommen wäre?
Den ganzen Weg umsonst zurückgelegt hätte ich!
Und in diesen misslichen Gedanken versunken erreichte ich unversehens die Pappeln, schritt zwischen ihnen hindurch, wie durch ein hohes, graues Tor und fand mich am Fusse eines grauen Felsens vor einer Öffnung, die mit Brettern kreuz und quer vernagelt war.

Wieviele Wege war ich in meinem Leben umsonst gegangen?
Warum musste sich dies im Tode noch fortsetzen?
Ich gestehe, daß ich mich in dieser Situation von einem selbstgefälligen Zorn übermannen liess:
"Teufel auch!" rief ich verdrossen: "Noch gar nicht eingekehrt und schon geschlossen!"
Allein, was half's, gab's kein Vorwärts, blieb nur das Zurück!

"Fahr zur Hölle!" hörte ich sie sagen.
"Ich will das nie wieder hören", sagte ich ärgerlich: "Du weißt nicht wovon Du redest. Und ich hab nicht die geringste Lust Dir dabei zuzuhören."
Natürlich war unsere Beziehung damit endgültig beendet.


Jörgs Kritik:

Betrug

Es gab einmal eine Welt, in der alles noch in Ordnung war, früher, die Altvorderen erzählen davon. Der Himmel in lichtes Weiß gehüllt und die Hölle in verkohltes Schwarz - krebserregend, schon als Kind habe ich gewußt, daß die Hitze in der Hölle ungesund sein muß.
Früher war alles besser, heute erlebt unsereins nicht mehr als Variationen in mausgrau. Und doch, es scheint sie noch zu geben, die Augenblicke der Entscheidung, gut und böse, schwarz und weiß. Einmal in seinem Leben ist er dem Protag der Story vergönnt: der rabenschwarze Moment.
Zugegeben, der Mann ist es eigentlich nicht wert, diesen Moment zu erleben, dieses finale Alles oder Nichts. "Äh", mehr fällt ihm dazu nicht ein, ein kleiner Scherz noch, seicht ist er, wie er selbst gesteht, nicht einmal cool, was man heute von einem Mann doch als Mindestes erwarten könnte.
Aber wer kann heute schon behaupten, das Leben sei gerecht. Es ist nun einmal ein Loser, den die Sterbehelferin in den schwarzen Abgrund blicken läßt, ein Loser, der vielleicht ein wenig viel über Farbenlehre spekuliert. (Irgendwo sucht auch der Leser immer noch nach einem Ausweg. Ist es der Protagonist selbst - oder etwa sein Autor, sind sie es, die die Enttäuschung vorzeichnen? Haben sie das Grau etwa vorgezeichnet, zwangsläufig gemacht. Fehlende Hingabe, das ist es, versinken im Dunkel, das können sie nicht. Deshalb sind sie zum Grau verdammt. So muß es sein, hofft der Leser.)

Der Tod hält nicht, was er verspricht, vom ersten Augenblick nicht. Selbst unser beschränkter Protag ist von ihm enttäuscht. Ab dann sieht er grau, unausweichlich. Da hilft ihm nicht einmal mehr der Selbstbetrug. (Wer überlegt schon, welchen Weg er nehmen soll, wenn nur einer da ist.) Der Weg zur Hölle ist grau. Spätestens, nachdem der Protag es hundertmal wiederholt hat, haben auch wir es begriffen, es gibt nichts anderes, nicht einmal mehr der Weg zur Hölle ist ein Inferno. Da muß sicher keiner unter Qualen dorthin schleppen, gepeinigt durch die Öde, gefoltert durch Hitze und Staub, da wartet aber auch kein Höllenflitzer, in dem sich der Protag in satter Dekadenz aalt, weil er vom Fluch der Lust noch nichts weiß. Nein, einfach eine Kutsche, eine olle alte Kutsche bringt ihn dorthin. Wie langweilig. Wenn wenigstens ein Fluß zu überqueren gewesen wäre ...
Die letzte Etappe, hinter ihm liegt Scheiße, vor ihm warten Bretter. (Die Hölle ist altmodisch, irgendwie hätte ich schon einen Maschendrahtzaun erwartet.) Aber er ahnt es, sollte er doch nicht so dumm gewesen sein, wie ich dachte? Er geht von der Scheiße in die Sackgasse und weiß, daß er umsonst geht. Betrug, er wurde gefoppt, es gibt sie gar nicht, die Hölle, die schwarze, den Abgrund, das Inferno. Und den Himmel ... ?
Alles wiederholt sich im Leben, selbst der Tod. Doch der Autor ist ein gnadenloser Optimist. Sein Protag will etwas gelernt haben. Natürlich hat er recht, es gibt es gar nicht, dieses Schwarz, die Tiefe des Laufes der Knarre ist grau, was sollte sie auch anderes sein. Nur wir haben alle einen Sehfehler. Aber der Autor hat seinem Protag eine Brille verpaßt. Der braucht jetzt gar nicht mehr hinzuschauen (oder zuzuhören, wie geschrieben steht). Er beendet die Beziehung. Er verändert sein Leben? Kein Grau mehr? Alles Betrug, selbst der Protag.

CdB
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