Historische Fortsetzungsgeschichte:

Napoleon ( Folge 1 )

von Jörg Chales de Beaulieu
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Erster Traum

oder Bericht von des Eggevaters magnetischen Kräften, Kunigundes Empfehlungen die Gartenarbeit betreffend und der Begegnung des Marquis mit der Blume
Sie hatte ihn noch nie gesehen, doch sie wußte sofort, wer da vor ihr stand. Nicht mit den Augen erkannte sie dieses sonderbar einschüchternde Wesen, vielmehr war sein Duft so durchdringend, daß sie ihn roch, noch bevor er die Klinke der Zimmertür heruntergedrückt hatte. Sie hatte ihren Vater inständig darum gebeten, daß er die Türe schließen möge, damit sie in dieser Nacht von den kaltschnäuzigen Liebkosungen Napoleons verschont bliebe. Der Dackel pflegte sich sonst allabendlich, spätestens zur Geisterstunde, den Weg unter ihre Bettdecke zu suchen. Doch gestern abend war ihr die Vorstellung ein Greuel gewesen, daß sie in ihrem Fieber das Bett mit ihm teilen sollte. Ihr Vater hatte dies nur begrüßt, galt ihm doch der Hundekuß als Gipfel des Verstoßes gegen die natürliche Ordnung. Es sei dem Menschen vorbehalten, pflegte er zu sagen, die Zärtlichkeit zu pflegen und durch vernünftige Gesinnung zur Liebe zu veredlen. Ein Tier dagegen sei ein Tier und bleibe ein Tier, nicht mehr und nicht weniger.
So kam es also, daß Karl August Möhle, seines Zeichens als Bibliothekar frisch aus dem Dienste des König Jêrome Bonaparte vom Kasseler Hof entlassen, seiner Tochter gegen alle Gewohnheit gestattete, die Kammertür zu schließen, durch deren Öffnung er sonst den ruhigen Atem erspürte, der ihm in eine friedliche Nachtruhe zu gleiten half. Doch hätte er gewußt, wer sich an diesem Morgen durch das Haus schleichen sollte, würde er nicht auch noch die Tür zu seiner eigenen Kammer verschlossen haben, denn so verpaßte er es, das zu sehen, woran er sonst nicht einmal glaubte. An diesem Morgen kam der Eggevater, um in dem neuen Haushalt in seinem Gebirge nach dem Rechten zu sehen.
Henriette roch zuletzt die Blätter, die an die Schnüre geknotet waren, die der Alte vom Walde um sich geschlungen hatte. Sie rundeten den Waldduft ab, den das Moos, das sein Haupt zierte, und die phalli impudici, die rechts und links aus seinen Ohren quollen, schon zuvor ausgesandt hatten. Zuallererst jedoch hatte sie der beißende Geruch alten Schweißes beinahe in eine spontane Ohnmacht gestürzt. Man sagte, der Eggevater zöge jede Nacht durch sein Land und sammle von seinen Kindern die nach außen gedrungenen Körpersäfte, um sich damit einzureiben. Daraus, so erzählten die Eggegebirgler, zöge er seine übernatürliche Kraft.
Als sie sich von dem ersten Schock des Duftes erholt zu haben glaubte, öffnete sie die Augen und blickte dem Alten entschlossen entgegen. Sie war überrascht, daß sich unter dem ulkigen Putz tatsächlich ein Mensch aus Fleisch und Blut verbarg. Alt mochte er sein, und das Grau seines Bartes verstärkte noch diesen Eindruck, doch er näherte sich ihr mit der Geschmeidigkeit eines Jungen. Schon hatte Henriette der Schalk gepackt und sie zu einem kleinen Spielchen mit dem Eindringling ermutigt, da fühlte sie sich mit Macht ins Kissen zurückgedrückt. Nicht nur das Fieber in ihrem Körper fand, es sei nicht der rechte Augenblick für Neckereien, vor allem war es das tiefe Wortgewitter, das sich in ihr kleines, hellblondes Köpfchen hämmerte und sie bezwang: »Was soll das, Henriette Möhle, glaubst du, ich bin zum Vergnügen hier Der Alte donnerte, ohne die Lippen zu bewegen.
Leicht ließ sich Henriette für gewöhnlich nicht einschüchtern und so führte sie es auf ihr geschwächtes Allgemeinbefinden zurück, daß sie ganz gegen ihre Natur gehorsam und ruhig blieb und allem weiteren mit großen Augen entgegenblickte. Ihre Willfährigkeit schien den grummeligen Alten zu besänftigen, denn seine Stimme klang fortan zumindest nicht mehr böse, auch wenn von freundlicher Anteilnahme noch keine Rede sein konnte. »Du hast mich schon erkannt, auch wenn du mich nicht kennst. Was an Gerüchten über mich verbreitet wird, ist alles wahr, und doch stimmt nichts davon. Keiner kennt mich und keiner wird mich je kennen, aber jeder wird mich noch kennenlernen. Ich bin der Eggevater, auch genannt der Alte vom Walde, und nichts geschieht hier, was ich nicht will. Wer sich meinem Willen nicht widersetzt, der hat von mir nichts zu befürchten, im Gegenteil. Ich bin gekommen, um dich und deinen Vater hier als Neuankömmlinge zu begrüßen. Dein Fieber, das deiner jugendlichen Unvorsichtigkeit geschuldet ist, sollte dir eine Lehre sein. Doch jetzt will ich dich davon befreien.« Henriette war seinen Ausführungen aufmerksam auch mit den Augen gefolgt: Der Mund der sie mit stechenden Augen anblickenden Gestalt blieb weiter geschlossen. Sie hatte einen Weg gefunden, ihre Rede direkt zu übertragen.
»Was willst du mit mir ...«, setzte die Patientin an, als sie merkte, daß der Alte geendet hatte. Doch weiter kam sie nicht, weil dieser wieder zu donnern begann: »Habe ich dir etwa das Du angeboten? Was fällt dir ein, in dieser Weise mit mir zu reden. Schweig stille, wie es sich für ein Weib geziemt, und folge meinen Anweisungen. Erhebe dich aus deinem Bett, zieh dir etwas über und komm dann mit in die Deele.« Mit diesem Ton jedoch war der Alte bei Henriette an die Falsche geraten. Im Nu hatte sie die Decke hoch bis ans Kinn gezogen, die Arme darüber verschränkt und die Lippen zu einer Schnute verzogen. Sie blickte den Alten nicht mehr an, sondern starrte vor sich hin auf die Decke. So entging ihr der Hauch eines Lächeln, das in seinen Mundwinkeln zuckte. Sie hörte nur, wie er sich auf den Stuhl neben ihrem Nachttisch setzte. Plötzlich hob ein kurzes Brummen an, ein Surren, und Henriette hielt statt ihrer Decke ihren Morgenmantel in Händen. Der hatte zuvor den Stuhl geziert, auf dem sich der Eggevater niedergelassen hatte, so daß dieser jetzt auf ihrer Bettdecke thronte. Empört schleuderte sie den Mantel von sich und drehte sich zur Wand. Mit Grausen dachte sie daran, daß dieser stinkende Klotz jetzt ihr schönes neues Federbett verseuchte.
»Du bist ja ganz schön hartnäckig, kleines Biest. Ich empföhle dir aber, deinen Widerstand aufzugeben, denn er wird dir auf Dauer nicht gut bekommen. Außerdem habe ich nicht alle Zeit der Welt, es gibt schließlich noch andere Probleme hierzulande, die ich zu lösen habe.« Mit diesen Worten erzielte der Alte keineswegs die erwünschte Wirkung, denn damit verstärkte er nur den Trotz seiner kleinen Patientin. Henriette setzte sich wieder auf, blickte dem Eggevater direkt ins Gesicht und sagte mit ernster Miene: »Wenn Sie mir nicht sofort meine Decke wiedergeben, wecke ich meinen Vater, meinen Hauslehrer und unsere Nachbarin, die Sie dann gemeinsam hinauswerfen werden.« Ganz langsam erhob sich der Gescholtene von seinem Platz. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stand er auf und verließ das Zimmer. Fasziniert sah Henriette, wie der Alte mit jedem seiner lautlosen Schritte zu wachsen schien. Auf seinem Rücken begannen die Blätter einen goldfarbenen Glanz anzunehmen und hüllten ihn so in einen kostbar leuchtenden Schuppenpanzer. Bevor sie weiter nachdenken konnte, stand sie schon vor ihrem Bett und schlüpfte in ihren Morgenmantel. In ihren schweren Holzschuhen polterte sie durch das Kammerfach, bis sie auf der Treppe zu Flett und Deele abrupt innehielt.
Während auf der linken Seite Castor und Pollux im Pferdestall friedlich in die kühle Märznacht hinausdampften, steuerte der gebieterisch erscheinende Alte nach rechts durch die Deele zu den noch leerstehenden Kuhställen. Doch nicht nur seine Erscheinung war es, die Henriette in ihren Bann zog, vielmehr stand dort eine mit aus der Entfernung nicht bestimmbaren Gegenständen gefüllte Zinkwanne, auf deren Rand mehrere brennende Kerzen standen. Es war nicht nur Neugier, die Henriette dorthin trieb. Der Alte, der sie hören mußte, drehte sich nicht um nach ihr, sondern ging in den Stall und setzte sich auf die Traufe. Henriette folgte ihm und setzte sich ungefragt auf die in der Wanne liegenden Steine, Glas- und Holzkohlestücke. »Du siehst, mein Kind, wenn ich möchte, daß du mit mir kommst, dann kommst du auch. Gib acht, daß du dich an den Kerzen rechts und links nicht verbrennst.«
In der Stimme des Alten lag keinerlei triumphierender Ton. Vielmehr strahlte sie ein Höchstmaß an Konzentration aus. Mit einem Finger zog er die Wanne so zu sich heran, daß Henriettes Knie mit den seinen Kontakt aufnahmen. Henriette konnte nicht anders, als ihre Augen in denen ihres Gegenübers zu versenken, die unverwandt auf sie gerichtet waren. Nach und nach vergaß sie den Schüttelfrost, der sie noch Augenblicke zuvor erfaßt hatte, vergaß den beißenden Geruch, der ihr so nahegerückt war. Sie spürte nur noch die Hand, die sich um ihre Daumen legte. Die andere kreiste zuerst über ihrem Oberbauch, bevor sie sich in sanften, regelmäßigen Strichen über ihren Körper verteilte.
Das letzte, woran sie sich erinnern konnte, als sie später wieder in ihrem Bett lag, war ein Gefühl grenzenloser Leichtigkeit, das sie erfaßt hatte, als ihr Blut entlang der Handstriche zu fließen begann und sie währenddessen im gleichen Rhythmus die jetzt beruhigende Stimme des Alten vernahm. Doch weder wußte sie, was dieser zu ihr gesagt, noch wie lange diese geheimnisvolle Prozedur gedauert hatte. Inzwischen war die Sonne aufgegangen und schien durch die kleine, milchige Fensterscheibe ins Zimmer. Sie streckte sich und spürte erstaunt, daß sie zwar matt und noch nicht voll bei Kräften war, jedoch das drückende Gefühl des Fiebers gewichen war. Behend schlüpfte sie aus dem Bett und lief in die Flett. Ein Blick in die Deele überzeugte sie davon, daß die Kuhställe so leer dalagen, wie sie es die letzten Tage getan hatten. Lediglich ein feiner Duft frischen Waldes umschmeichelte ihre Nase.

(Fortsetzung folgt am 11.8.2001)


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Weitere Bücher vom Autor:

Jörg
Chales de Beaulieu

Bisher erschienen:
"Das Gottesurteil"
Perigeo-Verlag, Hameln, 2000.
Eine spätmittelalterliche Erzählung von Glaube, Aberglaube und Berechnung.

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"Vollrausch."
Eine crime-story aus dem äppelwoischwangeren Frankfurt von 1918.
Sobald der Roman vollendet ist, bringen wir eine Vorstellung im M@G.


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